In einer der Juni-Ausgaben der Wochenzeitschrift „Do Rzeczy” ist ein Interview mit RA Lech Obara erschienen. Der Beitrag „Deutschland ist das Land, das Probleme mit Rechtstaatlichkeit hat” wurde vom Journalist Wojciech Wybranowski verfasst.

In einer der Juni-Ausgaben der Wochenzeitschrift „Do Rzeczy” ist ein Interview mit RA Lech Obara erschienen. Der Beitrag „Deutschland ist das Land, das Probleme mit Rechtstaatlichkeit hat” wurde vom Journalist Wojciech Wybranowski verfasst.

Deutschland ist das Land, das Probleme mit Rechtstaatlichkeit hat – sagt der Rechtsanwalt Lech Obara, Vorsitzender des Patria Nostra Vereins im Gespräch mit Wojciech Wybranowski

Frage: Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) steht der Rechtstaatlichkeit in Polen kritisch gegenüber und die Vizepräsidentin der EU-Kommission Věra Jourová hat sich mit ihrer Erklärung, alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen, damit die Auszahlung von EU-Mitteln von der Erfüllung der Rechtstaatlichkeitsnormen abhängig gemacht wird, zu der Lage in Polen und in Ungarn ebenfalls äußerst scharf geäußert…

Antwort: Ich muss sie schon jetzt unterbrechen. Sollte das heißen, dass wir in Polen keine Rechtstaatlichkeit, keine Demokratie haben? Dass die richterlichen Urteile unter dem Druck der aktuell regierenden Partei ergehen? Das ist eine Auseinandersetzung auf mehreren Ebenen, nicht nur wegen des Gerechtigkeitsmodells, sondern auch wegen der Vision Polens. Es ist nur schade, dass diese interne Auseinandersetzung zu einem Mittel geworden ist, um Polen auf der internationalen Ebene abzuschwächen, was wir leider auch den Polen selbst zu verdanken haben. Es macht einen schon traurig, dass dadurch das Schicksal einzelner Personen beeinträchtigt werden kann. So war es in der Sache von Karol Tendera. Die Rechtsanwälte des Fernsehsenders ZDF haben im Verfahren vor dem Landgericht Koblenz, welches darüber zu urteilen hatte, ob das polnische Urteil in Deutschland vollstreckt werden darf, absurd vorgetragen, dass die Anordnung an den deutschen Fernsehsender ZDF, eine Entschuldigung an Herrn Karol Tendera für die Anwendung der Bezeichnung „polnische Konzentrationslager“ zu veröffentlichen, sich aus der Erinnerungspolitik der regierenden polnischen Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) ergibt. Diese Ausführungen sind überhaupt nicht auf juristisches Fachwissen gestützt, trotzdem hat eine angesehene deutsche Rechtsanwaltskanzlei kein Problem darin gesehen, solche ungesetzlichen Argumente zu formulieren. Der Vorwurf war dabei umso absurder, dass das Urteil in dieser Sache bereits am 22. Dezember 2016 ergangen war, und die besagte Regierung erst am 16. November 2016 gebildet wurde. Diese Tatsache konnte also keinen Einfluss auf diesen Fall nehmen. Das Urteil wurde übrigens anhand von der Rechtsprechung und der Rechtslehre formuliert, die entwickelt wurde, noch bevor PiS die Regierung führte. Es war jedoch zu befürchten, dass angesichts der politischen Hetzjagd auf die polnische Justiz, die juristischen Ausführungen an Bedeutung verlieren werden.

Frage: Vor zwei Jahren hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe die Urteile der niedrigeren Instanzen in der Sache von Herrn Karol Tendera, dem ehemaligen Häftling in Auschwitz, gegen ZDF aufgehoben, wobei kraft dieser Urteile ZDF die Veröffentlichung einer Entschuldigung angeordnet wurde. In der Auffassung, dass der deutsche Fernsehsender die polnischen Urteile nicht anerkennen muss…

Antwort: Unserer Meinung nach wurde dadurch die Anwendung des EU-Rechts unbegründet verweigert, wonach die Urteile der Gerichte anderer Mitgliedstaaten in Deutschland vorbehaltslos zu vollstrecken sind. Das EU-Recht verbietet eine Nachprüfung der ausländischen Urteile in der Sache selbst im Rahmen der Anerkennung deren Vollstreckbarkeit. Aus dem Rechtsgutachten von Prof. A. Nowicka ergibt sich dagegen, dass die deutschen Richter das polnische Urteil seinem Wesen nach durchaus in Frage gestellt haben. A. Nowicka hat ferner zahlreiche rechtlichen Argumente genannt, die auf eine unbegründete Anführung der öffentlichen Ordnung hinweisen. Was wichtig ist, es handelt sich dabei nicht um eine Auseinandersetzung wegen des Gerechtigkeitsmodells, sondern um eine offensichtliche Verletzung des EU-Rechts. Das ist eine Sache für die EU-Kommission.

Frage: In dieser Sache – Verweigerung der Anerkennung der Urteile polnischer Gerichte durch die deutschen Gerichte in der Sache von ZDF – haben Sie bei Frau Věra Jourová mehrere Petitionen eingereicht. Wie war ihre Antwort?

Antwort: Außer unserer Petition haben sich an Frau Jourová, noch in ihrer Funktion als EU-Kommissarin, auch unsere Abgeordneten im Europäischen Parlament mit der Bitte um Eingreifen ihrerseits gewendet. In der Antwort auf dieses Ersuchen gab sie zu, dass ihr das Urteil in der Sache von ZDF nicht bekannt ist und dass sie im Rahmen der geplanten Kontrolle auf dieses Thema im Jahre 2022 zurückgreifen wird.

Frage: Kommen wir jedoch zu meiner Frage zurück. Wie hat die stellvertretende EU-Kommissarin auf Ihre Maßnahmen reagiert?

Antwort: In der Antwort auf unsere Petition hat die Kabinettschefin Salla Saastamoinen festgestellt, die EU-Kommission verfüge über keine ausreichenden Zuständigkeiten, um Grenzen zu bestimmen, innerhalb deren sich die Gerichte der Mitgliedstaaten auf die öffentliche Ordnung berufen können, um die Anerkennung der vor Gericht eines anderen Mitgliedstaates ergangenen Entscheidung zu verweigern. Sie hat also eigentlich eine jegliche Reaktion abgelehnt. Völlig übergangen hat sie dabei die Tatsache, dass es die deutschen Richter versäumt haben, die Auslegung des EU-Rechts bei dem EuGH zu beantragen. Erst die EU-Kommission kann daher dazu beitragen, dass deren Rechtsauffassung verifiziert wird. Aus unverständlichen Gründen wurden wir auch darauf hingewiesen, dass die polnischen Richter an den EuGH die Vorlagefrage im Vorabentscheidungsverfahren gerichtet haben, ob sie für die Entscheidung über Streitigkeiten betreffend die „polnischen Vernichtungslager“ zuständig sind. Wie hängt das aber mit dem Verstoß durch den Bundesgerichtshof zusammen?

Frage: Man könnte sagen, dass die Sache Tendera gegen ZDF an dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe gescheitert ist, der entschieden hat, dass der Fernsehsender das Urteil des polnischen Gerichts nicht anerkennen muss.

Antwort: Das stimmt. Aber das ist noch nicht alles, denn diese Auffassung wird jetzt möglicherweise bei anderen Versuchen hinzugezogen, die Vollstreckung eines polnischen Urteils in Sachen wegen der „polnischen Vernichtungslager“ bzw. in ähnlichen Sachen, wie z.B. wegen der Fernsehserie „Unsere Mütter, unsere Väter“ zu erwirken. Daher haben wir die Einleitung eines Verfahrens wegen Nichtausübung der EU-Vorschriften durch Deutschland gemäß Art. 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union beantragt. Wir möchten uns auch an eine jede Person wenden, eine offizielle Beschwerde an die EU-Kommission zu richten. Der vorgeschlagene Inhalt der Beschwerde wurde auf der Internetseite des Vereins: https://patrianostra.org.pl/wzor-skargi-przygotowanej-przez-stowarzyszenie-patria-nostra/ veröffentlicht.

Frage: Warum ist das so wichtig?

Antwort: Die gegenseitige Anerkennung der Vollstreckbarkeit von Urteilen ist einer der grundlegenden Werte, die zur Rechtsordnung der Europäischen Union beitragen. Wenn in der jeweiligen Sache die Gerichte eines Landes – in diesem Fall die deutschen Gerichte – die Anerkennung des Urteils eines polnischen Gerichts verweigern, entsteht dadurch eine äußerst gefährliche Präzedenz der Nichtanerkennung von Urteilen durch andere Mitgliedstaaten.

Die Sache Tenderas ist ein Beispiel für die instrumentale Behandlung der EU-Vorschriften durch den BGH, der die Einhaltung dieser Vorschriften verweigert, und zwar in einem Fall, wo dies für die Interessen eines deutschen Rechtsträgers und für die deutsche Politik förderlich ist. Dadurch wird die Glaubwürdigkeit der deutschen Justiz in allen grenzüberschreitenden Sachen erschüttert, in den eine Person bzw. eine Institution aus Deutschland Partei ist. Heute kann ein polnischer Unternehmer sogar in ganz üblichen Sachen nicht mehr sicher sein, ob ein Urteil zu seinem Vorteil, das vor dem polnischen Gericht in der Sache gegen einen deutschen Kontrahenten ergangen ist, tatsächlich vollstreckt wird. Denn die deutschen Richter könnten jederzeit eine ähnliche Kreativität vorbringen, wie in dem Fall von Karol Tendera. Sie könnten in ihrem Rechtssystem eine Verfassungsnorm „finden“, die die Vollstreckung gegen einen deutschen Rechtsträger verhindert.

Es ist also ein gewisser Test für die EU-Kommission, ob sie wirklich über die Verträge wacht, oder ob sie nur die deutschen Interessen verteidigt.

Frage: Was sind die größten Probleme beim Kampf um das polnische historische Gedächtnis in Deutschland?

Antwort: Wichtiger ist hier, dass wir jetzt ein Problem in Polen haben. Bisher haben die polnischen Richter ihre Entscheidungsbefugnis betreffend das Leiden der ehemaligen Häftlinge, die sich durch Äußerungen über die „polnischen Vernichtungslager“ beleidigt fühlten, nicht in Frage gestellt. Inzwischen haben jedoch die Richter am Berufungsgericht Warschau in der weiteren Sache des ehemaligen Auschwitz-Häftlings gegen eine bayerische Zeitung eine Vorlagefrage im Vorabentscheidungsverfahren an den EuGH gerichtet, ob die Klageerhebung gegen deutsche Rechtsträger vor den polnischen Gerichten gemäß den EU-Vorschriften begründet sein kann. Und das obwohl dieselben Richter ihre Zuständigkeit in einer ebenfalls anhängigen Sache desselben Klägers gegen den bayerischen Rundfunk festgestellt haben, indem sie sich gerade auf die Rechtsprechung des EuGHs berufen haben. Schon wieder geben wir also der EU-Kommission und auch den deutschen Richtern ein Signal, dass wir ihnen diese Sachen übergeben wollen. Man darf nicht vergessen, dass die Wartezeiten auf ein Urteil des EuGHs sehr lang sind, was bei dem 95-jährigen Kläger, Herrn Stanisław Zalewski, schon eine Rolle spielt.

Interview mit RA Lech Obara DoRzeczy