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Zeugen der Geschichte

Karol Tendera – Häftlingsnummer 1000430

Ich war insgesamt in drei Lagern und in allen diesen Lagern wurden die Häftlinge von den Deutschen erhängt, geschlagen, gefoltert und verbrannt, nicht von den Polen. Man darf sich nicht überzeugen lassen, dass das ein Irrtum war. Ich werde das nicht akzeptieren, ich bin damit nicht einverstanden

– so sprach Karol Tendera vor Gericht gleich am Anfang des Verfahrens, das er gegen den deutschen Fernsehsender ZDF eingeleitet hat.

Karol Tendera ist 1921 in Krakau geboren. Er stammt aus einer künstlerisch veranlagten Familie. Sein Vater war Musiker, seine Mutter war Malerin. Während des Zweiten Weltkriegs besuchte er die Krakauer Schule für die Mechaniker. Am 2. März 1940 wurden die Schüler aus dieser Schule zur Zwangsarbeit in die Max Mueller-Hann Flugzeugwerke in Hannover, wo die deutschen Flugzeuge hergestellt wurden, deportiert. Er war damals 19 Jahre alt. Zwei Jahre später ist ihm die Flucht gelungen. Er ist nach Krakau, in die immer noch besetzte Stadt zurückgekommen. Es war jedoch nicht dieselbe Stadt, wie er sie in Erinnerung behielt. Überall gab es deutsche Straßennamen und Hakenkreuze, die Stimmung war wegen der Straßenrazzien voller Angst.

Er wurde am 19. Januar 1943 von einem Gestapo-Beamten in Zivil verhaftet. Während des Verhörs in der ul. Pomorska wurde ihm die Dokumentenfälschung vorgeworfen. Als er die Schuld nicht gestehen wollte, haben ihn die Deutschen in ihrer Wut mit Ellenbogen gegen den Kopf geschlagen. Die Folgen dieses Angriffs machen ihm bis heute zu schaffen – er hört auf das eine Ohr gar nicht und muss ein Hörgerät tragen. Er war im Gefängnis in der ul. Montelupich gelandet. Jahre später erzählte er, wie die Gestapo-Beamten nach jeder Aktion der Krakauer Untergrundbewegung alle Gefangene in den Korridor beförderten und abzählten. Die gewählten Häftlinge wurden dann nach Krzeszowice gebracht und dort erschossen.

Am 5. Februar 1943 wurde er von den Deutschen nach Auschwitz deportiert. Seitdem hatte er keinen Vornamen, keinen Nachnamen mehr. Er war die „Nummer 1000430”. Nach 70 Jahren kann sich Karol Tendera immer noch an die Rede erinnern, mit der er und sonstige Häftlinge im Lager begrüßt wurden:

„Ihr seid jetzt in einem deutschen Konzentrationslager. Das hier ist kein Sanatorium, sondern ein hartes Arbeitslager. Ihr werdet das nicht lange aushalten. Die Juden dürfen höchstens 2-3 Wochen überleben, Priester und Zigeuner 1,5 Monate und der Rest drei Monate. Dann müsst ihr Platz für die nächsten machen. Wem das nicht gefällt, der kann sich gleich heute aufs Draht stürzen. Morgen früh fliegt er dann durch den Schornstein ins Freie“.

Einige Monate später hat der Blockführer die Nummern von fünfzehn Häftlingen vorgelesen. Karol Tendera war auch in dieser Gruppe. Sie wurden alle ins Lagerkrankenhaus gebracht und Experimenten unterzogen. Diese Experimente wurden am polnischen Häftling vom Dr. Josef Mengele durchgeführt, von den Gefangenen der Todesengel genannt. Ihnen wurde eine graubraune Flüssigkeit gespritzt. Bis heute weiß man nicht, was das war. Einige Häftlinge sind infolge des Experiments gestorben, einige sind zur Arbeit zurückgekommen. Nach einiger Zeit wurden sie nach Birkenau geschickt.

In Birkenau hat Karol Tendera den Glauben und den Lebenswillen völlig aufgegeben. Die Lebensbedingungen waren dort sehr hart, die Häftlinge starben einer nach dem anderen. Die Leichen wurden vor den Baracken gestapelt, wie Müll. Eine Szene, die er miterlebte, kann Karol Tendera bis heute nicht vergessen.

Ein neuer Transport war gekommen. Die Männer wurden schnell zur Arbeit abkommandiert. Mütter mit Kindern und ältere Frauen waren geblieben. Die SS-Männer haben zwei Stäbe mit einer Leine dazwischen in den Boden geschlagen und ließen die Kinder unter der Leine spazieren. Diese, die mit dem Kopf die Leine erreichen konnten, wurden zur Arbeit geschickt – kleinere Kinder gingen in die Gaskammern. Karol Tendera kann heute noch das Geschrei der Mütter und das Weinen der Kinder hören.

Dass er überhaupt überlebt hat, hat er nur seinen Mithäftlingen zu verdanken. Sie haben ihn in die Widerstandsbewegung gezogen, die vom Witold Pilecki im Lager organisiert wurde. Im Oktober 1944 haben sich die Russen dem Kattowitz genähert. Die Deutschen begannen, die Häftlinge in einem Todesmarsch tief in das Reich hinein zu vertreiben. Die letzte Jahreshälfte des Krieges verbrachte er im Konzentrationslager in KZ-Außenlager Leitmeritz (heute Litoměřice in Tschechien).

Frei ist er erst an dem letzten Kriegstag geworden. Er hat es bis zu einem großen Betrieb geschafft, wo die Tschechien Zwangsarbeit verrichteten. Der Betriebsleiter, ein Deutscher, hat aus Angst vor den Russen mit der ganzen Familie Selbstmord begangen. An diesem Betrieb waren auch zwei Deutsche auf ihrer Flucht vor den Russen vorbeigekommen. Sie haben um Zivilkleidung gebeten. Dafür erhielt Tendera von einem der Flüchtlinge eine Brieftasche aus Leder, die ihm angeblich vom Adolf Hitler persönlich geschenkt wurde. Heute ist diese Brieftasche sehr abgenutzt. Er hat sie nach dem Krieg noch getragen.

In diesem Betrieb hat Tendera auch eine Deutsche kennengelernt, die ihm die Hand einer ihrer Töchter und eine Arbeit in Berlin anbot. Hätte er dieses Angebot angenommen, wäre er nicht mehr in die Heimat zurückgekehrt.

Aber er ist doch nach Krakau gefahren. Und er hat das Studium an der dortigen Bergbauakademie (AGH) abgeschlossen. Bis zu seiner Pension leitete er ein großes Bauunternehmen. Heute übernimmt er den Vorsitz in der Vereinigung ehemaliger Häftlinge des deutschen Konzentrationslagers in Auschwitz.

Er hat auch ein Buch u.d.T. „Polacy i Żydzi w KL Auschwitz 1940-1945“ mit seinen Erinnerungen aus dieser Zeit geschrieben, das durch den Verlag Jagiellonia SA veröffentlicht wurde. Als ständiger Referent im Zentrum für Dialog und Gebet (poln. Centrum Dialogu i Modlitwy) in Oświęcim begegnet er den ausländischen Besuchern aus Deutschland, Norwegen oder aus Japan. In den Interviews hat er mehrmals betont, er verspüre keinen Hass gegen die Deutschen. Die Klage gegen den deutschen Fernsehsender hat er um der Wahrheit willen erhoben, und nicht aus Rache für sein Leiden. In Tenderas Wohnzimmer hängt neben der Bilder seiner Eltern auch ein Erinnerungsfoto aus dem 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz an der Wand, auf dem er zusammen mit dem deutschen Präsidenten Joachim Gauck zu sehen ist. Für Herrn Tendera ist das ein Bild von zwei Freunden. Diejenigen, denen er etwas nachtragen könnte, sind schon längst tot, sagt er.

Wegen der zahlreichen Berufungen von ZDF wartet Tendera immer noch auf Entschuldigung für die Formulierung „polnische Todeslager“, wie sie von den deutschen Journalisten verwendet wurde. Karol Tendera ist körperlich zwar immer noch gut in Form, er ist jedoch schon 94 Jahre alt. Er möchte eine positive Entscheidung in dieser Sache noch miterleben. Nach einer Verhandlung sagte er direkt: „Ich warte auf das Urteil noch zu meinen Lebzeiten“.

Im Dezember 2016 wurde der deutsche Fernsehsender durch das Berufungsgericht Krakau dazu verurteilt, sich beim Herrn Karol Tendera zu entschuldigen. Die Entschuldigung sollte auf der Homepage von ZDF dreißig Tage lang abrufbar sein. Der deutsche Sender hat jedoch diese Anordnung geschickt umgangen, indem er lediglich den Verweis „Entschuldigung an Karol Tendera“ und einen kurzen Text in graphischer Form unten auf der Seite veröffentlichte. Die Bevollmächtigten von Karol Tendera – die Rechtsberater Lech Obara und Szymon Topa aus Olsztyn – sind der Meinung, das sei eine Manipulation und ein Versuch gewesen, sich vor der Verantwortung zu drücken.

Im Januar 2017 wurde daher das Landgericht Mainz angerufen, um eine Entscheidung herbeizuführen, dass ZDF das Urteil des Berufungsgerichts Krakau vollumfänglich erfüllen muss. Das Gericht hat diesem Antrag stattgegeben, der deutsche Sender wollte sich damit jedoch nicht abfinden. Die ZDF-Anwälte haben die Entscheidung des Landgerichts Mainz beim Oberlandesgericht Koblenz angefochten.

Mit Beschluss vom 11. Januar 2018 hat das Oberlandesgericht Koblenz die Beschwerde von ZDF gegen den Beschluss des Landgerichts Mainz endgültig abgewiesen, indem es erkannt hat, dass das Urteil des Berufungsgerichts Krakau in Deutschland vollstreckt werden kann.

Ich war insgesamt in drei Lagern und in allen diesen Lagern wurden die Häftlinge von den Deutschen erhängt, geschlagen, gefoltert und verbrannt, nicht von den Polen. Man darf sich nicht überzeugen lassen, dass das ein Irrtum war. Ich werde das nicht akzeptieren, ich bin damit nicht einverstanden

so sprach Karol Tendera vor Gericht gleich am Anfang des Verfahrens.

Karol Tendera, seine Bevollmächtigten und Mitglieder des Vereins Patria Nostra haben gehofft, dass in einer dermaßen sensiblen Sache ZDF den weiteren Kampf unterlassen wird. Es war jedoch anders. Der deutsche Sender hat auch diese Entscheidung angefochten, indem er beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe, also der höchsten gerichtlichen Instanz in dem deutschen Rechtssystem, die Beschwerde einreichte.

Ich finde das Verhalten von ZDF einfach empörend. Die Anfechtung der Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz sehe ich als ein Zeichen von Feindseligkeit und Arroganz

so Karol Tendera.

In diesem Urteil – so die deutschen und polnischen öffentlichen Presseagenturen – wurde erkannt, dass die Entscheidungen des polnischen Gerichts in Deutschland keine Anwendung finden können, denn es würde sich dabei um „eine offensichtliche Verletzung der Meinungsfreiheit und der Medienfreiheit“ handeln.

Damit hat der Bundesgerichtshof die Entscheidungen der niedrigeren deutschen Instanzen – in Mainz und Koblenz – aufgehoben.

Der Patria Nostra Verein und die Karol Tendera vertretenden Anwälte haben in dieser Sache die Waffen noch nicht niedergelegt.

Das Treffen von Karol Tendera, dem ehemaligen Häftling von Auschwitz-Birkenau
mit dem Bundespräsidenten Joachim Gauck am Jahrestag der Lagerbefreiung.
27.01.2015
Bild: Onet
https://wiadomosci.onet.pl/tylko-w-onecie/karol-tendera-chcialbym-zebyscie-to-napisali-wywiad/nnrwm9

Bild: Express Olsztyn
https://www.express.olsztyn.pl/artykuly/niemiecka-telewizja-publiczna-zdf-przed-sadem-w-krakowie-za-polski-oboz-w-auschwitz

 

 

 

 

 

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