Studienbesuch deutscher Studierender in Polen unter dem Motto „Wer war der Henker und wer war das Opfer?“ – Berichte der Teilnehmer und eine kurze Zusammenfassung (Auswertung)

Der Aufenthalt in Warschau vom 12. bis 16. Juni 2023 wird den Teilnehmern des Studienbesuchs in Warschau, einer Gruppe deutscher Studierender und Wissenschaftler im Zuge des Projekts „Wer war der Henker und wer das Opfer?“, das vom Nationalen Institut für Freiheit – Zentrum für die Entwicklung der Zivilgesellschaft im Rahmen des Regierungsprogramms – Fonds für Bürgerinitiativen NOWE FIO gefördert wird, sicherlich lange in Erinnerung bleiben.

Die Idee war eine außergewöhnliche und interessante Form des „lebendigen Geschichtsunterrichts“ über die Teilnahme und die Rolle der Polen im Zweiten Weltkrieg zu gestalten, die sich vor allem an junge Menschen richten würde, die mit diesem Thema nur wenig vertraut sind. Das Projekt entspricht auch einem sehr wichtigen Bedürfnis, nämlich dem nach historischer Wahrheit.

An der Studienreise nahmen 18 Studierende des Studiengangs Holocaust Studies der Touro University Berlin (Projektpartner) teil. Im Namen des Vereins Patria Nostra kümmerten sich drei Personen (Aneta Markowska, Emilia Pawlak-Wojda und Lech Obara) um die Gäste. Fünf Freiwillige des Vereins Patria Nostra beteiligten sich ebenfalls an den Projektaktivitäten.

Der erste Tag diente dem gegenseitigen Kennenlernen, der Integration und der Erkundung der näheren Umgebung. Am Abend hingegen erhielten wir eine Einladung zu TVP World, wo zwei Teilnehmer des Studienbesuchs (Prof. Lehnstaedt und Furkan Aydemir) über unsere Zusammenarbeit, die Projektaktivitäten sowie auch darüber sprachen, wie das Problem der individuellen Entschädigungsansprüche für die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs von den Deutschen (einschließlich der jungen Deutschen) gesehen wird.

Das Videomaterial kann unter dem folgenden Link angesehen werden:

https://tvpworld.com/70505355

Am zweiten Tag (Dienstag) besuchten wir das Museum – die Gedenkstätte Palmiry. Diese Gedenkstätte erinnert an die Opfer der Massenerschießungen, die von den Deutschen während des Zweiten Weltkriegs im Wald von Kampinos-Nationalpark durchgeführt wurden und die bereits im Dezember 1939 begannen.

Auf dem Rückweg von der Gedenkstätte Palmiry besuchten wir das Jüdische Historische Institut, dessen Aufgabe in der Verbreitung von Wissen über das Erbe der tausendjährigen jüdischen Präsenz auf polnischem Boden besteht, u. a. durch die Präsentation seiner Sammlungen im Rahmen von Wechselausstellungen und verschiedenen künstlerischen Veranstaltungen, wissenschaftlichen Konferenzen, populärwissenschaftlichen Treffen sowie Bildungs- und Publikationstätigkeiten.  Im Jüdischen Historischen Institut besuchten wir die Ausstellung „Was wir nicht in die Welt hinausschreien konnten“, in der wir die weltweit größte und wertvollste Sammlung von Quellen zur Dokumentation des Holocausts bewundern konnten. Das Archiv gehört zu den 17 polnischen Denkmälern, die in die Welterbeliste der UNESCO (Memory of the World) aufgenommen wurden.

Auf dem Weg zum Jüdischen Historischen Institut besuchten wir auch das Grabmal des Unbekannten Soldaten, wo wir Zeit für einen Moment der Besinnung hatten und die Wachablösung beobachten konnten. Anschließend schlenderten wir durch den wunderschönen Saski-Garten.

Am Mittwoch, dem 14. Juni, stand ein mehrstündiger Spaziergang unter dem Motto „Jüdisches Warschau“ (jüdische Geschichte und die Tour durch das Warschauer Ghetto) auf dem Programm.

Bei der Führung ging es um das jüdische Leben in Warschau in der Vorkriegszeit, die Geschichte des Warschauer Ghettos und das aktuelle Wiederaufleben der jüdischen Gemeinde. Gemeinsam mit unseren Gästen besichtigten wir unter anderem das Gebiet des Warschauer Ghettos, in dem fast eine halbe Million Juden eingesperrt waren. Wir hörten viel über Hunger und Tod, aber auch über eine blühende Kultur, Mode und Liebe. Wir liefen über das Schlachtfeld des Warschauer Ghettoaufstands von 1943 – des ersten bewaffneten zivilen Widerstands gegen die Nazis im besetzten Europa – bis zu dem Ort, an dem die Waggons in die Vernichtungslager abfuhren. Warschau aus dieser Perspektive wurde uns von einem lizenzierten Stadtführer, Paweł Szczerkowski, gezeigt. Diese Wahl erwies sich als der sprichwörtliche „Volltreffer“. Sein immenses Wissen, sein Engagement, sein Taktgefühl und sein perfektes Englisch sorgten dafür, dass die Gruppe die Informationen einfach aufsaugte, Fragen stellte und trotz Müdigkeit die nächsten Kilometer der Strecke zurücklegte.

Nach einer kurzen Pause und einem Moment der Besinnung ging es weiter zu zwei Warschauer Museen – Museum der Geschichte der Polnischen Juden POLIN und das Museum des Warschauer Aufstands.

Wir beendeten die Tour am Umschlagplatz – dem Ort der Deportation in die Todeslager. Um das Ausmaß der von den Deutschen während des Zweiten Weltkriegs begangenen Gräueltaten noch deutlicher vor Augen zu führen, planten wir am nächsten Tag einen Ausflug nach Treblinka zu unternehmen. Unser Reiseleiter war, wie schon am Vortag, Paweł Szczerkowski.

Unsere Gäste – Studierende und Wissenschaftler – waren von dem Besuch in Treblinka sehr ergriffen. Dies umso mehr, als einige von ihnen Juden sind und die Touro University Berlin selbst eine jüdisch-deutsch-amerikanische Universität ist. Deshalb brauchte die Gruppe auch einen längeren Moment, um das Gelände des ehemaligen Lagers auf eigene Faust zu erkunden und sich dem Nachdenken und der Besinnung hinzugeben. Besonders stark beeindruckt waren sie von der Inschrift „Nie wieder“, die auf einem der Steine in mehreren Sprachen eingraviert ist.

Der Donnerstag wurde mit einem weiteren starken Akzent abgerundet – einem Treffen mit dem Zeitzeugen Stanisław Zalewski, einem ehemaligen Häftling des Konzentrationslagers Auschwitz und der Lager Mauthausen Gusen I und Gusen II, in der Zentrale des Polnischen Verbands ehemaliger Häftlinge von Konzentrations- und Vernichtungslagern (ebenfalls ein Partner des Projekts).

Während des Treffens sprach er unter anderem über seine Erfahrungen in den Todeslagern und sensibilisierte seine Gäste dafür, warum die historische Wahrheit so wichtig ist, wenn es darum geht, wer die Täter und wer die Opfer während des Zweiten Weltkriegs waren.

Am Ende des sehr intensiven, informativen und zum Nachdenken anregenden Besuchs war es an der Zeit, Bilanz zu ziehen.

Die eifrigen Teilnehmer nahmen an einer Umfrage teil (10 Personen haben sich dafür entschieden). Im ersten Punkt der Umfrage wurden sie gebeten, den Besuch auf einer Skala von 1 bis 10 zu bewerten. Wir sind stolz darauf, dass unsere durchschnittliche Bewertung bei 9,5 lag.

Im zweiten Punkt ging es darum, die Frage zu beantworten, was vielleicht verbessert werden könnte und welche Mängel es eventuell gab – alles mit dem Ziel, die Qualität unserer künftigen Aktivitäten zu steigern.

Das Wichtigste, lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  1. Die unterschiedliche Herkunft der Teilnehmer der Gruppe hat die Reise sehr bereichert. Sie löste Gespräche und Diskussionen aus, die in einer kleineren, homogeneren Gruppe nie stattgefunden hätten. Auch die Auswahl der von uns besuchten Orte und Museen schien sehr vielfältig zu sein, d. h. wir besuchten Stätten, die verschiedenen Opfergruppen gewidmet sind. Mir persönlich fehlte jedoch eine gewisse Vielseitigkeit in Bezug auf die Geschichte der Täter. Es wäre gut gewesen, wenn wir mehr Zeit mit Herrn Stanisław Zalewski gehabt hätten. Es war eine seltene und einzigartige Gelegenheit, jemanden zu treffen, der eine solch außergewöhnliche Lebensgeschichte zu erzählen hat.
  2. Alles war perfekt organisiert. Ich war von dem Stadtführer in Warschau und Treblinka, Paweł Szczerkowski, sehr beeindruckt. Es fehlte ein wenig an Freizeit, aber das ist wohl die Besonderheit eines solchen Besuchs… Neben der historischen Besichtigung von Warschau und Treblinka entdeckten wir auch die polnische Kultur und ihr leckeres Essen.
  3. Definitiv eine 10! Es war eine großartige Reise und wir fühlten uns geehrt, dass wir daran teilnehmen durften! Das Einzige, was man ändern könnte, wäre, etwas Zeit (vielleicht eine Stunde pro Tag) für die Reflexion mit der Gruppe einzuplanen. Besonders der Besuch des Ghettos und die Fahrt nach Treblinka haben einige Teilnehmer sehr ergriffen, und vielleicht wäre es hilfreich gewesen, diese Erfahrungen in der Gruppe austauschen zu können.
  4. Es war ein bisschen schade, dass wir nicht mehr Zeit hatten, um alles zu sehen. Der Zeitplan war ziemlich eng und intensiv, so dass wenig Zeit zum Nachdenken und Ausruhen blieb. Aber alle in der Gruppe waren super freundlich, die Organisatoren äußerst hilfsbereit und das Programm super interessant. Trotz der schwierigen Thematik, die Gegenstand der Reise war, war die Atmosphäre bei unseren Treffen und Gesprächen immer freundlich und sogar herzlich, was nicht immer der Fall ist.
  5. Paweł Szczerkowski war ein ausgezeichneter Stadtführer.
  6. Vielen Dank, dass Sie uns diese Reise ermöglicht haben!